Evliya Celebi über das Kerzenauslöschen

Ich habe euch im letzten Posting erzählt, wie Hocas sich weigerten die Secere von Seyh Dilo Belincan wahrheitsgetreu zu übersetzen, da darin von kurdischen Stämmen die Rede war. Heute erzähle ich euch von einem anderen Beispiel, wo wieder einmal bewusst Passagen ausgelassen wurden.

Ihr habt ja wahrscheinlich schon mal den Begriff „Kerzenauslöschen“ (mum söndürmek) gehört? Es handelt sich hierbei um die perversen sexuellen Fantasien der Sunniten, die sie auf die Aleviten projizieren und welche vor allem während den Auseinandersetzungen zwischen den Osmanen und Safawiden verbreitet wurden, um die Aleviten zu dämonisieren. Menschen, die Pädophilie legitimieren oder sich mit Fragen wie, ob die Ehe ungültig wird bzw. die Ehefrau ihrem Mann haram wird, wenn der Vater beim Küssen der eigenen Tochter sexuelle Lust verspürt, beschäftigen, können nun mal nicht anders als an eine Sexorgie zu denken, wenn sie hören, dass bei den Aleviten die Frauen genauso, ohne eine räumliche Trennung, am Gemeinschaftsgebet teilnehmen.

Evliya Celebi (1611 – 1683), der als Reisender das Osmanische Reich erkundete, thematisierte in seinem Werk „Seyahatname“ (Reisebuch) diese Verleumdnung und dementierte entschieden das Stattfinden eines solchen „Kerzenauslöschens“. Und genau dieser Abschnitt wurde in der alten Seyahatname-Ausgabe des Verlags Ikdam Matbaasi (Istanbul) entfernt. Weshalb? Sie wollten anscheinend nicht wahrhaben, dass ihre geheimen Wünsche nicht existieren.
Hier ein Teil des Berichts von Evliya Celebi, der entfernt wurde:

„Man behauptet, dass es das (gemeint ist das Kerzenlöschen) immer noch im Iran gibt. Gott ist mein Zeuge, ich bin im Jahre 1646 von Erzurum nach Iran gegangen und 1645 von Bagdad aus wieder bis nach Hamadan und Dergüz, die sich im Iran befinden, gegangen und im Jahre 1666 von der Region Krim nach Dagestan und bin von dort im Iran (Iran’in demir kapisi), Sirvan (Sirvan Samakisi) und Gilan (Gilan Baküsü) angekommen. Und ich habe jetzt wieder Gebiete wie Rumiye, Hoy, Merend, Tesu, Kumla und Täbris gesehen. Sowas wie das, was sie Kerzenauslöschen nennen und eine Gemeinde, die sich mit solch einer Absicht versammelt, habe ich nicht gesehen. Nun ja die Menschen dieser Welt sind Lästerer, Verleumdner und Nörgler. Es wird auch über den Sivas-Eyalet, Keskin-Sandschak, Bozok-Sandschak, Sungur und Imad erzählt, dass es dort Kerzenauslöscher gäbe, dass jeder, indem die Kerze ausgeloschen wird, die Frau des anderen Mannes hochnimmt und in einer Ecke penetriert. Hasa und noch einmal hasa (Gott bewahre! Sowas gibt es nicht). Dieser demütige Diener (meint sich selbst) hat seit der Eroberung Bagdads jeden Winkel dieser Gebiete bereist, besichtigt und habe als unser Efendi der Vali in Sivas war, sehr viele Tätigkeiten und Aufträge in Keskin und Bozok erhalten. Doch sowas habe ich nicht gesehen. Ich muss noch einmal zum Ausdruck bringen, dass diese Menschen, die ihre Nase in alles stecken, behaupten, dass es Schah-Liebende und Kerzenauslöscher und Schah-Diadem tragende Männer und Frauen in Rumeli, im Silistre-Eyalet, in den Ortschaften Deli Orman und Karasu und im Dobruca-Vilayet gibt. So wahr Gott mein Zeuge ist, vielleicht habe ich mich 50-mal in diesen Gegenden aufgehalten und Aufgaben dort bekommen, doch solche unerlaubte Praktiken habe ich nicht gesehen. Jedoch weiß ich, dass es dort Männer gibt, die nicht das Namaz verrichten und singende Frauen lieben.“

Und was lernen wir nun daraus?! Nicht jeder fühlt sich der Wahrheit verpflichtet! Daher müssen gerade wir Aleviten stets kritisch mit den uns vorgelegten Übersetzungen alevitischer Quellen umgehen. Was ist z.B. mit den Diwanen alevitischer Dichter? Wer hat sie eigentlich transliteriert und übersetzt?! Oder die Buyruk-Manuskripte?! Wenn man jetzt auch noch neben der zweifelhaften Objektivität und Sachkundigkeit der „Forscher“ bedenkt, dass auch die Türkei als Staat nie besonders an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Wissenschaft interessiert war (vielleicht sagen euch ja die türkische Geschichtsthese und die Sonnensprachentheorie was), dann dürfte einem klar sein, dass viele Bücher über den alevitischen Glauben T.C.-konform verfasst und gedruckt worden sind.

Autor: Van Dersim

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