Woher kommt der Begriff Alevi? Was bedeutet er? Seit wann wird er benutzt? Das sind Fragen, die sich heute viele Aleviten stellen.
Historisch gesehen taucht diese Bezeichnung zum ersten Mal während des Kalifatsstreit auf. Diejenigen, die sich auf die Seite Imam Alis stellten, wurden neben Schiat Ali auch Alevi bzw. el-Aleviyye genannt. Dementsprechend bezeichnete man auch die Anhänger Ömers el-Ömeriyye und die des Osmans el-Osmaniyye. Wenn man im Türkischen die Anhängerschaft zu einer Person ausdrücken will, dann hängt man z.B. ein -ci/-cu/-cü an das Ende des Namens: Fetullahci, Atatürkcü, Apocu, Solcu usw. Das arabische Pendant zum türkischen -ci ist das -wi. Das -wi drückt die Zugehörigkeit zu einer Person aus, oder genauer gesagt das „i“, das „w“ fungiert dabei nur als Bindekonsonant. So wird aus Musa = Musawi, Isa = Isawi und schließlich aus Ali = Alawi. Da bei der Türkisierung arabischer Begriffe der Vokal „a“ oft zu einem „e“ wird, wird aus Alawi folglich Alevi. Alevi ist also die türkisierte Version des arabischen Wortes Alawi.
Doch der Ausdruck Alevi wurde in der Geschichte nicht nur für die Anhänger Imam Alis verwendet, sondern vor allem für die Nachfahren Imam Alis. In der spätumayyadischen Zeit begann man Menschen, die von Imam Ali abstammten, z.B neben Seyyit auch Alevi zu nennen. Aufgrunddessen war dieser Name im islamischen Raum geläufig und ist daher auch z.B. in den Werken von Tabari, Schahrastani, Ibn Arabi, Mevlana, usw. zu finden.
Wir wissen jetzt woher der Begriff stammt und was er bedeutet. Doch seit wann wird der Ausdruck Alevi explizit für die in Anatolien lebenden Menschen, die heute unter dem Namen Aleviten bekannt sind, verwendet? Wie lange nennen sich also die Aleviten schon Alevi?
Hierzu präsentiere ich euch zunächst einmal einige Verse aus den Strophen alevitischer Volksdichter, nämlich Pir Sultan Abdal und Kul Himmet, welche im 16. Jahrhundert gelebt haben.
„Die Lebensart Hüseyni, der Name Alevi
Kul Himmet
Ihre Wege führen zu Muhammed Ali“
(Mesrebi Hüseyni, ismi Alevi
Muhammed aliye cikar yollari)
„Ich bin der Azrail des Leugners, des Yezits
Pir Sultan Abdal
Ich bin ein Hüseyini, ein Alevi, was sagst du“
(Münkirin yezidin Azrail’iyim
Hüseyini’yim Alevi’yim ne dersin)
[…]
„Unser Pir ist Haci Bektas Veli
Wir Alevi sind die Diener Sahi Merdans“
(Pirimizdir Haci Bektas Veli
Sahi Merdan kuluyuz biz Alevi)
Wie wir erkennen können, haben die sich selbst auch im 16. Jahrhundert als Alevi bezeichnet. Doch wie schaut es mit der Fremdbezeichnung aus? Wurden sie auch von Außenstehenden, z.B. den Osmanen, Alevi genannt? Aus dem osmanischen Archiv geht hervor, dass auch die Osmanen schon ab dem 15./16. Jahrhundert den Namen Alevi für die heutigen Aleviten benutzt haben. So wird in einem Tahrir-Defter (Steuerregister) aus dem Jahre 1455 eine Ortschaft im heutigen Ordu, welche zu dieser Zeit von den Cepnis beheimatet war, als Bölük-i Niyabet-i Ordu bi-ismi Alevi genannt. Darin wird auch ein Teil der Bevölkerung in dieser Region als Cemaat-i Alevi bezeichnet. Zwar wird auch in dem Steuerregister von 1485 dieses Gebiet immer noch als Bölük-i Niyabet-i Ordu nam-ı diger Alevi festgehalten, jedoch ist auch zu erkennen, dass 30 Jahre später die alevitische Gemeinde (Cemaat-i Alevi) nicht länger mehr diesen Ort bewohnt. Sie sind aufgrund der osmanischen Politik weggezogen, aber der Ortsname Nefs-i Alevi wurde beibehalten. Dieso Ortschaft, welche Nefs-i Ordu und mit dem anderen Namen Nefs-i Alevi genannt wurde, ist das heutige Eskipazar, welches bis zum 19. Jahrhundert das administratives Zentrum Ordus war. Bis 1613 wurde diese Region immer noch Nefs-i Alevi genannt, das liegt daran, dass die Osmanen die Ortsnamen genauso wiedergegeben haben wie sie in den ersten Steuerregistern waren, denn auf diese Weise wollten sie Probleme bei der Steuereinziehung vermeiden.
Nichtsdestotrotz benutzten die Osmanen bis zum 19. Jahrhundert für die Aleviten (genauso für die Schiiten) nicht deren echten Namen, sondern hauptsächlich Ausdrücke wie Kizilbas (Rotkopf), Rafizi (Ablehner), Mülhid (Abweichler), Zindik (Ketzer) usw. Mit dem Ausbruch des Osmanisch-Safawidischen Krieges war die Verwendung beleidigender und abwertender Bezeichungen für pro-safawidische Gruppen nicht anders zu erwarten.
Die Frage, die sich jetzt einige stellen dürften: „Und wie war es in der vorosmanischen Zeit? Wie wurden wir im 12. oder im 9. Jahrhundert bezeichnet?“
Diese Frage kann nicht eindeutig und überzeugend beantwortet werden, denn die sich heute Alevite nennenden Menschen haben unterschiedliche Abstammungen, welche größtenteils noch nicht einmal erforscht worden sind. Daher stellt sich auch die Frage, ab wann genau man denn von einem alevitischen Volk sprechen kann? Wann hat eine „Ethnogenese“ stattgefunden? Haben sich der „Alevite“ aus Cemisgezek und der „Alevite“ aus Amasya auch vor 800 Jahren als Glaubensbrüder betrachtet? Gab es schon damals ein Zusammengehörigkeitsgefühl? Wann sind überhaupt die jeweiligen Vorfahren zum alevitischen Glauben konvertiert? Ist der alevitische Glaube mit dem alevitischen Glauben vor 1000 identisch? Wie ihr seht, ist das nicht ganz so einfach.
Da aber oft davon ausgegangen wird, dass die „Dersimlis“ aus Dailam stammen sollen, wäre es jetzt nicht verkehrt zu erwähnen, dass auch Nizamülmülk (1018 – 1092), der Wesir der Seldschuken-Sultane Alp Arslan und Malik Schah, in seinem Werk „Siyasetname“ (Buch der Staatskunst) von Aleviten in Dailam und Tabaristan spricht.
Und falls die Seyyits der Aleviten tatsächlich Seyyits sein sollten, also wirklich von Hz. Mohammed abstammen sollten, dann benutzen sie den Begriff Alevi schon von Anbeginn an.
Fazit: Der Name Alevi leitet sich von Imam Ali ab und drückt eine Zugehörigkeit (Anhänger oder Nachfahre) zu ihm aus. Aufgrund dieser Bedeutung war dieser Begriff, beginnend mit dem Kalifatsstreit (also bereits zu Lebzeiten Imam Alis), im islamischen Raum geläufig. Anhand osmanischer Dokumente und der Gedichte alevitischer Volksdichter konnte dargelegt werden, dass auch im 15./16. Jahrhundert die heutigen Aleviten sich selbst Alevi nannten und auch von Außenstehenden so bezeichnet wurden.
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Erwähnenswert hierzu ist auch noch, dass es heute neben den Aleviten auch noch andere Gruppierungen gibt, die sich selbst so ähnlich benennen:
(1) Aleviten (anatolische Aleviten, Kizilbas, Bektasi)
(2) Alawiten (Nusairier)
(3) Aliden (in der orientalischen Literatur Bezeichnung für die Nachkommen Imam Alis)
(4) Alawiden (oder auch Alaouiten/Alaviden/Filaliten, Königsdynastie in Marokko, sunnitisch)
(5) Alawiyya (ein nordafrikanischer Sufi-Orden, sunnitisch)
(6) Ba ‚Alawiyya (oder auch Tariqa Alawiya, ein Sufi-Orden mit Zentrum Yemen, sunnitisch)
Autor: Van Dersim